Freitag, 29. September 2017

Der erste Monat

Einen ganzen Monat bin ich nun schon hier: ich habe genug für ein ganzes Jahr erlebt und mich trotzdem erschrocken, als ich auf den Kalender geschaut habe. Die Zeit vergeht wie im Flug, jeden Tag gibt es etwas Unbekanntes zu sehen und ich lerne neue Menschen kennen. 
Am vergangenen Wochenende waren wir, wie ja bereits im letzten Eintrag erwähnt, in la paz (zur Erinnerung: der Ort mit der Tropfsteinhöhle), dieses Mal allerdings mit der ganzen Großfamilie: etwa 100 Personen, davon 14 Cousinen und Cousins. Immerhin diese Namen kann ich jetzt... :) 
Wir hatten viel Spaß zusammen, denn den Jugendlichen hier ist einfach nichts peinlich, wie mir bei der Gelegenheit aufgefallen ist. Ich verstehe mich eigentlich mit allen gut, soweit man das nach einem Wochenende beurteilen kann. 
Und am Dienstag war dann auch schon der día de la bandera, für den wir so fleißig das Marschieren geübt haben.
Ich habe jetzt auch endlich verstanden, was man da macht: als erstes kommen 27 Schüler mit der ecuadorianischen Fahne (an Besenstielen. Sehr seriös... 😁) und stellen sich an den Rand, dann kommen die ganzen Schüler aus den jüngeren Jahrgängen an die rechte und linke Seite und anschließend die aus dem primero y segundo de B.G.U., auf Deutsch die EF und Q1 nach hinten, natürlich schön in Reihen und nach Größe und Geschlecht sortiert (kleiner Fakt am Rande: es gibt auf der ganzen Schule genau zwei Mädchen, die größer sind als ich, höhö). Anschließend werden die National- und die Schulhymne gesungen, die ich inzwischen tatsächlich auswendig gelernt habe, und als nächstes kommen die "normalen" Schüler aus dem Abschlussjahrgang, gefolgt von den drei besten SchülerInnen aus dem Jahrgang: die beste Schülerin trägt die Fahne Ecuadors, diese allerdings mit einer richtigen Fahnenstange, nicht mit Besenstiel, die zweite trägt die Quitos und die dritte die der Schule. 
Und dann beginnt der Teil, der 1 1/2 Stunden dauert, bei dem sich alle die Beine in den Bauch stehen und sich zu Tode langweilen: Jeder Abschlussschüler marschiert einzeln zur Fahne, küsst sie (ich glaube, ich habe ein bisschen zu auffällig ungläubig geschaut) und sagt ein paar Sätze, in denen er schwört, Ecuador zu schützen und zu verteidigen. Die ersten drei Male ist das noch lustig und irgendwie absurd, aber danach ist es einfach nur noch anstrengend, zumal sich die Musik alle 5 Minuten wiederholt.
Ich freunde mich immer mehr mit ein paar Jungs aus meiner Klasse an, die sind einfach lustiger als die Mädchen, und ich habe heute das zweite Mal mit meiner Schwester deutsche Weihnachtsplätzchen gebacken.
Ansonsten ist diese Woche nicht besonders viel passiert, und deshalb erzähle ich euch einfach noch ein paar allgemeine Dinge, die hier ganz anders sind als in Deutschland:
Da wäre zunächst einmal der Verkehr, der hier ein einziges Chaos ist. Das wichtigste Verkehrsmittel ist die Hupe, die im Dauereinsatz ist. Rechts vor links ist mehr ein Witz als eine Regel, genauso wie rote Ampeln, man fährt einfach los, wenn es einem gerade passt, zumindest hier in Quito. Für andere Orte kann ich nicht sprechen, aber ich kann mir kaum vorstellen, dass es dort anders ist. 
Durch den Verkehr, der hier morgens wirklich unfassbar ist, kommt auch der Smog, der sich aber mittags meistens verzogen hat.
Etwas, das ich in Deutschland sehr vermissen werde, sind die vendedores y artistas de la calle, die Straßenverkäufer und -künstler, die wahrscheinlich der Hauptgrund sind, warum ich Ecuador so günstig finde. Wenn du an einer Kreuzung stehst kommt garantiert jemand an deinem Auto vorbei, der Wasser, Kekse, Eis, Haarspangen und diesen ganzen Kleinkram für 50 cent verkauft. Wenn du Glück hast, bekommst du Zigaretten für 1,50$, aber normalerweise sind es 2$. Die Straßenkünstler stehen hier an jeder Straße: an roten Ampeln jonglieren sie, turnen oder spucken Feuer und gehen anschließend herum, um Geld einzusammeln.

Noch eine Sache, die ich ganz furchtbar vermissen werde: frische Mango

Vendedores de la calle, die hier Ofenkartoffeln verkaufen
Am Montag geht es für 5 Tage an den Strand: ich treffe mich mit allen anderen Rotary-Austauschschülern in Ecuador, und wir haben einen Sprachkurs (wobei ich ehrlich gesagt nicht glaube, dass ich den besonders nötig habe, denn mein Spanisch funktioniert inzwischen gut genug, um auch schwierigere Dialoge zu verstehen) und lernen uns einfach ein bisschen kennen.
Bis dann und liebe Grüße nach Deutschland und in die ganze Welt,
Annika

Donnerstag, 21. September 2017

Gottesdienst und Marschieren

Also, wenn alle katholischen Kirchen so sind, wie die, in der wir am Sonntag waren, ist mir diese Konfession irgendwie lieber. Das ist nämlich kein Gottesdienst, das ist eine einzige Riesenparty (jedenfalls von der Stimmung her...), allerdings hat mich meine Cousine schon darüber aufgeklärt, dass das ganz sicher nicht immer so ist und vom "Padre" abhängt. Dieser war jedenfalls ziemlich entspannt: die ersten paar Minuten seiner Predigt - wobei ich mir nicht sicher bin, ob man das wirklich als solche bezeichnen kann - hat er sich nach dem Befinden erkundigt ("Und es ist auch wirklich nicht zu kalt...?"), worauf die Gemeinde ihm im Kollektiv antwortete. Der Lauteste bekam dann eine Antwort und eine neue Frage. Der Padre hat bestimmt 20 Minuten geredet und etwa 5 davon gepredigt. Ich habe bis jetzt nicht verstanden, wozu man 11 (ich habe dreimal nachgezählt!) Messdiener braucht, aber auch das variiert wohl, denn es werden einfach alle genommen, die sich melden. Die Kirche, die zwar kleiner als St. Marien in Lemgo ist, aber trotzdem noch groß, war so gut besucht, dass überall an den Seiten noch Leute stehen mussten - das ist hier anders, denn normalerweise geht man jeden Sonntag in die Kirche. Irgendwie haben alle gute Laune, die kommt aber auch von selbst, wenn man bei allen Liedern mitklatscht. Ich kam mir ein bisschen bescheuert vor, aber was soll's, mir gefällt diese Mentalität eindeutig besser als die deutsche.

Im Hintergrund einige Messdiener, der Rest sitzt rechts außerhalb des Fotos :)
Kommen wir zum nächsten Punkt: das Marschieren. 
Tja, Leute, ich bin mir ziemlich sicher, dass ich das jetzt besser kann als ihr, ich mache das nämlich seit drei Wochen jeden Mittwoch und Donnerstag zwei Stunden, inzwischen noch mehr, denn am nächsten Dienstag ist der día de la bandera, der "Tag der Fahne", bei dem man auf die Fahne schwört, Ecuador zu beschützen (oder so ähnlich). Nach 2 Stunden Marschieren ist man echt fertig, man glaubt gar nicht, wie anstrengend das ist, 2 Stunden mehr oder weniger auf der Stelle zu gehen.

Meine sich ausruhende Klasse... natürlich mit Schuluniform
Patriotismus wird hier insgesamt um einiges mehr geschätzt und gefördert als in Deutschland: jeden Montag nehmen die "minutos cívicos" eine halbe Stunde in Anspruch. 
Man stellt sich wunderschön in Reihen auf, rechts die Jungen, links die Mädchen, und dann wird erst die Nationalhymne gesungen (natürlich mit der Hand auf dem Herz), dann die Schulhymne, und dann redet der Schulleiter noch über Werte und Moralvorstellungen. 



Die Hymne ist hier bei den Jungendlichen allgemein verhasst, denn man wird ja dazu gezwungen, sie ständig zu singen, während man in der Sonne steht, die einem direkt in die Augen scheint. Die Schulhymne kann ich persönlich echt nicht ernstnehmen, dafür erinnert die mich viel zu sehr an Jahrmarktsmusik. Da bin ich allerdings nicht die einzige, auch wenn meine Mitschüler ein anderes Problem haben: offensichtlich ergibt der Text überhaupt keinen Sinn, das merke ich allerdings nicht. Bis Dienstag muss ich beide Hymnen auswendig können... (Nicht schön. Es ist echt schwer, einen Text auswendig zu lernen, den man nicht versteht.) Im Zweifelsfall bewege ich einfach irgendwie die Lippen, aber da ich das Ganze noch etwa 40 Mal (wie gesagt, jede Woche Montag) brauchen werde, lohnt es sich vermutlich wirklich, sich einmal anzustrengen.

An 3 Tagen trägt man den Rock...
...an den anderen die wirklich unglaublich hässliche Sportuniform
Eine weitere Sache, über die ich mich sehr freue: ich spiele jetzt zwei Mal pro Woche im Orchester des Conservatorio Nacional de Música de Ecuador. Das Orchester ist zwar nicht besonders gut, aber wir sind sechs Bratschen, und auch hier ist das einfach die sympathischste der Stimmgruppen😊. Ansonsten gibt es zwar nur fünf Celli, dafür aber genauso viele Klarinetten und Trompeten... keine Ahnung, was die die ganze Zeit machen. Morgen geht es wieder einmal nach La Paz, den ersten Ort, den ich hier in Ecuador richtig kennengelernt habe, dieses Mal aber mit der Großfamilie, auch der aus Quito.


Zusammengefasst: meine Spanischkenntnisse verbessern sich mit jedem Tag ein bisschen mehr, ich beginne langsam, aber sicher, die Kultur und Mentalität zu durchschauen und organisiere mein Leben hier.
Bis dann und liebe Grüße aus Ecuador, ich vermisse das schlechte Wetter überhaupt gar nicht,
Annika

Dienstag, 12. September 2017

Erster Schultag & Co.

Wie bereits erwähnt, geht Familie hier über alles, und deshalb feiert man auch alle Geburtstage mit der Familie. Und tada!, den ersten Geburtstag habe ich erfolgreich hinter mich gebracht! Und zwar den von meiner superlieben Gastmutter Shesy, die sich eine Besteigung des Cotopaxis gewünscht hat. Mit 5897 m ist dieser der höchste noch aktive Vulkan in Ecuador und einer der höchsten Vulkane der Erde (nur zum Vergleich, der höchste Berg Deutschlands, die Zugspitze, ist 2962 m hoch, aber das ist hier gar nichts, und wenn man das erzählt, wird man ausgelacht). Man kann bis zu 5000 m hoch und das ist soooo verdammt anstrengend! Trotzdem, gemeinsam mit meinem Gastvater und meiner Cousine Flor habe ich es bis nach "ganz oben" geschafft - immerhin bis zum Gletscher, der im Moment nur ganz klein ist, denn der Cotopaxi ist 2015 das letzte Mal ausgebrochen. Deshalb ist das Gestein auch noch warm. Und ganz ehrlich: es ist einfach nur komisch, wenn man neben sich einen Gletscher hat, dann einen Stein in die Hand nimmt und der warm ist. Komisch und ein bisschen gruselig, aber es lohnt sich. 

Mit meiner Cousine Flor auf dem Gletscher

Bevor Marco uns eingeholt hat, haben wir uns zu viert an den Aufstieg gemacht: mit meiner Gastschwester Anita, einem Freund der Familie, Ray, dessen Namen ich leider immer noch nicht richtig aussprechen kann, und mit der bereits erwähnten Cousine Flor. Zusammen haben wir Anitas ersten Schnee erlebt, viele (natürlich wunderschöne) Fotos gemacht und uns gegenseitig aufgewärmt, wenn einer mal wieder zum Eiszapfen geworden war. 



Versteht mich nicht falsch, es hat sich absolut gelohnt und wir hatten trotz allem viel Spaß, aber ganz ehrlich, der Aufstieg war die absolute Hölle, besonders ab 4500 m. Naja, dadurch habe ich meine gleichaltrige Familie zumindest schon richtig kennengelernt. Abends sind wir dann noch an einen See gefahren und haben den Cotopaxi während des Sonnenuntergangs erlebt, was einfach nur wunderschön war. Also, auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Ecuador lohnt sich als Reiseziel.

Der Cotopaxi während des Sonnenunterganges
Die beste Gastfamilie auf der ganzen Welt


Kommen wir zum nächsten Punkt, der wohl einer der wichtigsten meines Auslandsjahrs werden wird: die Schule!
Jupp, am Montag hatte ich meinen ersten Schultag (in wunderschöner Schuluniform natürlich), und zumindest in den Englischstunden verstehe ich alles. Nein, im Ernst, mein Spanisch funktioniert mit meinen Mitschülern ganz gut, auch wenn es bei den Lehrern noch ein bisschen zu wünschen übrig lässt, aber die sprechen auch extrem schnell... :(
Das Schulsystem ist hier anders: man muss sich nach jedem Schuljahr neu anmelden und die Schule hier ist einfach nur teuer, man bezahlt nämlich Schulgeld. An meiner Schule sind das 300$, dazu kommt noch die Schuluniform, die ich aber größtenteils aus zweiter Hand habe, und die ganzen importierten Bücher. Im großen und ganzen ist Ecuador wirklich ein billiges Land, aber hin und wieder kommt dann dieser Punkt, wo einem der Mund aufklappt. Es mag ja sein, dass das importierte Englischbuch das beste von allen ist, aber ganz ehrlich, 200$ sind einfach nur übertrieben, zumal die Ecuadorianer Englisch sowieso nicht aussprechen können, zumindest zu 90%. Die Bildung ist hier mit Abstand schlechter, als in Deutschland und trotz des auf den ersten Blick extrem strengen Systems ist die Schule hier superentspannt.
Hier ein paar Beispiele:
  • man spricht die Lehrer mit "Profe" und dem Vornamen an, wenn man die-/denjenigen mag, auch gerne mit Verniedlichung.
  • Melden wird überbewertet.
  • klar, offiziell sind Handys verboten, aber die liegen überall auf den Tischen, und es macht nichts, wenn es mal im Unterricht klingelt, deshalb passiert das auch ständig.
  • es kommt schon mal vor, dass drei Lehrer hintereinander nicht erscheinen, das kümmert aber niemanden.
  • Unterricht bedeutet nicht Lernen, sondern vor allem Austausch von allem möglichen Mist .
Trotzdem, in bestimmten Dingen wird Disziplin gefordert:
  • wenn du deine Schuluniform nicht trägst, wirst du nach Hause geschickt, um dich umzuziehen, außer du hast eine Entschuldigung mit Begründung der Eltern dabei.
  • wenn du eine zusätzliche Jacke trägst, wird die einkassiert, und du kannst sie dir am Ende des Semesters wieder abholen (kurze Anmerkung: in diesen Klassenräumen ist es unglaublich kalt, und man friert sich jedes Mal den Arsch ab).
  • es kommt schon mal vor, dass der "Inspector", den es hier tatsächlich gibt, dich auffordert, die Sportjacke zu öffnen, um zu schauen, ob du wirklich nur das korrekte T-Shirt darunter trägst.
Meiner Meinung nach hat eine Schuluniform mehr Vor- als Nachteile, denn man gehört irgendwie direkt zur Gruppe dazu. Außerdem kann man sich nicht durch seine Kleidung hervorheben. Klassifizierung findet zwar trotzdem statt, aber es dauert länger, die Menschen einzuschätzen, das geht nicht in 5 Minuten, sondern da braucht man schon mal eine Woche für. An den Tagen, an denen du Sport hast, musst/ darfst du in Jogginghose zur Schule gehen, ohne dass dich jemand dafür verurteilt, denn das ist ja Pflicht :)
Ich habe eine zum Teil sehr lustige Klasse, in der ich total lieb aufgenommen wurde. Meine Pausen verbringe ich normalerweise mit vier Mädchen, die mir gerne alle unbekannten Vokabeln erklären und mindestens genauso gerne Witze auf Kosten der Deutschen machen, im Unterricht erklärt mir die Jungsreihe hinter mir und den anderen Mädchen superlieb alle Zusammenhänge (oder schreibt auch mal ab, wenn der Lehrer mal wieder zu schnell oder sie zu langsam waren).
Den Spruch "Erst die Arbeit, dann das Vergnügen" gibt es hier nicht. Wenn der Lehrer das erste Mal fragt, ob man mit der Aufgabe fertig ist, fängt man vielleicht mal mit der Überschrift an, aber auch nur, wenn man denjenigen mag. Klar, es gibt Ausnahmen, aber die sind sehr, sehr selten.
Zusammengefasst ist die Schule hier der Ort, an dem man seine Freunde trifft, nicht mehr, nicht weniger. Dafür machen hier aber alle ihre Hausaufgaben... außer mir, wenn ich mal wieder nicht verstanden habe, dass wir Hausaufgaben aufhaben. Inzwischen frage ich immer nach, ob und was wir machen sollen, aber es hat  etwa vier Tage gedauert, bis ich mir das angewöhnt hatte. Glücklicherweise sind meine Noten hier ja vollkommen irrelevant.
Tja, und am Freitag war ich dann auf der ersten richtigen Party meines Lebens. Es war... spannend? Interessant? Das ist ganz sicher nicht meins, aber meine Gastschwester hat mit mir ausgehandelt, dass ich mitkomme, wenn sie auf Partys geht... Glücklicherweise ist sie auch keine extreme Partygängerin, nur alle ein bis zwei Monate mal, und das ist hier extrem selten. Ich schätze, daran muss ich mich gewöhnen. 
Also, die ersten zwei Wochen habe ich glücklich und gesund hinter mich gebracht, ich gewöhne mich an das Leben hier, kenne schon die ersten Beleidigungen (wie gesagt, ich sitze direkt vor der Jungsreihe) und finde mich auch in der Schule gut zurecht.
Alles so, wie es sein soll!
Liebe Grüße und bis zum nächsten Mal,
Annika

Distrikttour

Wieder einmal sind ein paar Wochen vergangen, in denen ich viel erlebt habe: ich war mit den anderen Austauschschülern auf Distrikt- bzw Ec...